Aktuell in der AG

Pflicht zur Eintragung von Beherrschungsverträgen auch ohne Abfindung nach § 305 Abs. 1 AktG - Eine Auseinandersetzung mit der registergerichtlichen Praxis (Wandt/Herold, AG 2024, 417)

Basierend auf einer vereinzelten Ansicht im Schrifttum berufen sich Registergerichte in der Praxis mitunter auf ein Recht, die Eintragung eines Unternehmensvertrags zu verweigern, wenn dieser keine Abfindungsregelung nach § 305 Abs. 1 AktG
vorsieht, obgleich an der abhängigen Gesellschaft keine außenstehenden Aktionäre beteiligt sind. Der nachfolgende Beitrag widerlegt diesen Ansatz.

I. Grundlagen
II. Problemaufriss
III. Ausgangspunkt

1. Abfindungsanspruch des Beherrschungsvertrags
2. Grundlage der ablehnenden Entscheidung durch das Registergericht
IV. Würdigung
1. Keine relevanten Fehlerfolgen
a) Keine Nichtigkeit
b) Keine Anfechtbarkeit
c) Gesetzliche Verweisung außenstehender Aktionäre auf das Spruchverfahren
d) Empfehlungen der Kautelarliteratur
e) Fazit
2. Aktienrechtliche Vorgaben an den Prüfungsumfang des Registergerichts
a) Keine „Unvollständigkeit“ des Beherrschungsvertrags
b) § 305 AktG nicht vom Prüfungsumfang des Registergerichts umfasst
3. Wertungswiderspruch und Tragweite eines Zurückweisungsrechts
a) Kein Dispens bei § 305 AktG
b) Widersprüchlichkeit der Zurückweisung durch das Handelsregister
c) Rechtliche und praktische Konsequenzen der Zurückweisung durch das Handelsregister
aa) Unternehmensbewertung
bb) Vertragsprüfung
cc) Anfechtungsrisiko
d) Zwischenergebnis
4. Maßstab registergerichtlicher Ermessensausübung
a) Kein Zurückweisungsrecht nach aktienrechtlichen Maßstäben
aa) Ermessensentscheidung
bb) Prüfung des Registergerichts auf Unwirksamkeit beschränkt
cc) Eintragungspflicht eines aktienrechtlich wirksamen Beherrschungsvertrags
b) Kein Zurückweisungsrecht nach registerrechtlichen Maßstäben
aa) Tatbestand nicht erfüllt
bb) Rechtsfolge lässt kein Ermessen zu
cc) Kein Raum für eine Zwischenverfügung
c) Zwischenergebnis
V. Fazit und Ausblick


I. Grundlagen

1
Beherrschungsverträge, mittels derer eine AG die Leitung ihrer Gesellschaft einem anderen Unternehmen unterstellt (§ 291 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 AktG), bedürfen zur Wirksamkeit in formeller Hinsicht der Eintragung in das Handelsregister der abhängigen Gesellschaft (§ 294 Abs. 1 AktG). Im Sinne von Transparenz und Rechtssicherheit hat die Handelsregistereintragung des Beherrschungsvertrags konstitutive Wirkung. In inhaltlicher Hinsicht verlangt das Gesetz ihnen grundsätzlich ab, zum Vorteil der außenstehenden Aktionäre einen Anspruch auf angemessenen Ausgleich (§ 304 Abs. 1 AktG) und auf angemessene Abfindung (§ 305 Abs. 1 AktG) vorzusehen. Die Ausnahmen von diesem Grundsatz verlangen indes Beachtung.

II. Problemaufriss
2
Ist das herrschende Unternehmen alleinige Aktionärin der beherrschten Gesellschaft, ist es zweckmäßig, in einem Beherrschungsvertrag weder einen Ausgleichs- noch einen Abfindungsanspruch für außenstehende Aktionäre vorzusehen. Da es in diesem Fall keinen außenstehenden Aktionär gibt, ist das unter dem Gesichtspunkt des Aktionärsschutzes unproblematisch. In Bezug auf den Ausgleichsanspruch bestätigt dies das Gesetz (§ 304 Abs. 1 Satz 3 AktG). Für den Abfindungsanspruch fehlt eine entsprechende Regelung.

3
Auf der Basis einer vereinzelten Ansicht im (registerrechtlichen) Schrifttum berufen sich Registergerichte in der Praxis mitunter gleichwohl auf ein Recht, die Eintragung zu verweigern, weil es an einer Abfindungsregelung i.S.v. § 305 Abs. 1 AktG
fehle. Der nachfolgende Beitrag wird aufzeigen, auf welche Grundlage ein Registergericht diese Entscheidung (allein) stützen kann, und weshalb diese eines rechtlichen Fundaments entbehrt. Er wird darlegen, dass entgegen diesem Ansatz eine Eintragung des Beherrschungsvertrags in das Handelsregister ohne weiteres vorzunehmen ist.

III. Ausgangspunkt

1. Abfindungsanspruch des Beherrschungsvertrags

4
Im Ausgangspunkt muss ein Beherrschungsvertrag nach § 305 Abs. 1 Satz 1 AktG die Verpflichtung des herrschenden Unternehmens enthalten, auf Verlangen eines außenstehenden Aktionärs dessen Aktien an der beherrschten Gesellschaft gegen eine in dem Beherrschungsvertrag bestimmte angemessene Abfindung zu erwerben, sog. Abfindungsanspruch. Gläubiger des Abfindungsanspruchs sind allein außenstehende Aktionäre, d.h. – kurz gefasst – Aktionäre, die dem herrschenden Unternehmen weder rechtlich noch wirtschaftlich zugerechnet werden. Außenstehende Aktionäre sind insoweit nämlich alle Aktionäre der Gesellschaft mit Ausnahme des anderen Vertragsteils und derjenigen Aktionäre, die aufgrund rechtlich fundierter wirtschaftlicher Verknüpfung mit dem anderen Vertragsteil von der Gewinnabführung unmittelbar oder mittelbar in ähnlicher Weise profitieren wie dieser. Ihnen soll hierdurch ermöglicht werden, gegen Gewährung einer Abfindung, die bar oder in Aktien erfolgen kann, aus der fortan durch Beherrschungsvertrag konzernierten, abhängigen Gesellschaft auszuscheiden. Dies ist verfassungsrechtlich geboten, verkürzt doch die vertragliche Konzernierung die mitgliedschaftlichen Rechte der außenstehenden Aktionäre.

5
Nach zutreffender, wenn auch bestrittener Ansicht ist für die Frage, wer außenstehender Aktionär i.S.d. § 305 AktG ist, auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung durch die Hauptversammlung der Gesellschaft abzustellen. Insoweit sprechen die besseren Gründe ferner für einen Gleichlauf mit der Ausgleichszahlung i.S.v. § 304 AktG. Diese ist kraft Gesetzes entbehrlich, wenn im Zeitpunkt der zustimmenden Hauptversammlung keine außenstehenden Aktionäre vorhanden sind (§ 304 Abs. 1 Satz 3 AktG).

2. Grundlage der ablehnenden Entscheidung durch das Registergericht
6
Beruft sich demgegenüber ein Registergericht auf ein Recht, die Eintragung zu verweigern, so ist dies auf eine vereinzelte Ansicht im Schrifttum zurückzuführen: Allein Krafka stellt in der registerrechtlichen Literatur ein Zurückweisungsrecht des Registergerichts aufgrund des Fehlens einer Abfindungsregelung i.S.d. § 305 AktG in den Raum. Zu unterstreichen ist, dass eine Begründung hierfür nicht erfolgt. Es kann nur vermutet werden, dass dieses Vorgehen dem Schutz außenstehender Aktionäre zu dienen gedacht ist. Die Rechtsauffassung beschränkt sich auf den Hinweis, dass die Zurückweisung der Anmeldung „wegen Unvollständigkeit des Vertrags“ möglich sei. Im Übrigen findet ein solches Zurückweisungsrecht im registerrechtlichen Schrifttum indes – soweit ersichtlich – keine Erwähnung.

7
An anderer Stelle wird in Bezug auf die bis zum 31.12.1994 gültige und insoweit bis heute vergleichbare historische Fassung von § 305 AktG folgendermaßen argumentiert: Der durch § 305 Abs. 1 Satz 1 AktG vorgesehenen Plicht zur Regelung einer Abfindung sei zum Schutz der Minderheitsaktionäre Vorrang einzuräumen vor der Durchführung des seinerzeit Spruchstellenverfahren genannten gerichtlichen Verfahrens zur Festsetzung einer zu gewährenden Abfindung. Außerdem sei eine Ungleichbehandlung von Ausgleich und Abfindung in Bezug auf die Nichtigkeitsfolge nicht gerechtfertigt, so dass ein Unternehmensvertrag bei fehlender Abfindung nichtig und nicht eintragungsfähig sei. Abgesehen davon, dass diese Argumentation ihre Grundlage in all den Fällen verliert, in denen die beherrschte Gesellschaft keinen außenstehenden Aktionär hat, ist sie auch mit der gesetzlichen Systematik der §§ 304, 305 AktG nicht zu vereinbaren. Dies wird nachfolgend aufgezeigt.

IV. Würdigung
8
Eine Möglichkeit des Registergerichts, wegen eines fehlenden Abfindungsanspruchs nach § 305 Abs. 1 AktG die Handelsregistereintragung eines Beherrschungsvertrags zurückzuweisen, entbehrt bei Lichte betrachtet einer rechtlichen Grundlage. Eine Begründung der von Krafka vertretenen Rechtsauffassung vermag nicht zu gelingen.

1. Keine relevanten Fehlerfolgen
9
Zunächst löst das Fehlen eines Abfindungsanspruchs in einem Beherrschungsvertrag keine relevanten Fehlerfolgen aus. Das gilt unabhängig davon, ob...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 25.06.2024 10:54
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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