Aktuell in der AG

Sustainable Shareholder Activism - Anliegen, Hemmnisse und Reformperspektiven (Fest, AG 2024, 269)

In den letzten Jahren haben aktivistische Aktionäre Vorstände börsennotierter Gesellschaften zunehmend dazu gedrängt, die Hauptversammlungen mit Fragen der Transformation des Unternehmens zur CO2-Neutralität zu befassen. Sofern die Vorstände nicht nachgegeben und ihrerseits ein Votum der Hauptversammlung z.B. über einen Klimatransformationsplan initiiert haben, sind die Versuche der Aktionäre, ihre Anliegen mittels eines Tagesordnungsergänzungsverlangens durchzusetzen, bislang ausnahmslos erfolglos geblieben. Diesen Befund nimmt der Beitrag zum Anlass, de lege lata bestehende Hemmnisse zu beleuchten, mögliche Evolutionen der Beschlussgegenstände zu prognostizieren und bereits unterbreitete Reformvorschläge für ein say on climate kritisch zu würdigen.

I. Einleitung
II. Interventionsmöglichkeiten mittels Ergänzungsverlangen

1. Verbindliche Vorgaben zu Produkteigenschaften
a) Keine originäre Kompetenz der Hauptversammlung in Leitungsfragen
b) Verengung des statutarischen Unternehmensgegenstands
2. Berichts- und Offenlegungspflichten
a) Keine inhaltliche Erweiterung der nichtfinanziellen Erklärung
b) Einführung einer statutarischen Berichts- und Offenlegungspflicht
3. Brownspinning
4. Unverbindlicher Meinungsbeschluss oder sonstige Stellungnahme (sog. say on climate)
a) Meinungsbeschluss
b) Bloße Stellungnahme
III. Hemmnisse bei der Mehrheitsbeschaffung
1. Gesellschaftsrechtliches Hemmnis
2. Kapitalmarktrechtliches Hemmnis
IV. Ausblick de lege ferenda
1. Einzelne Reformvorschläge
a) Aufnahme einer Anregung in den DCGK
b) Einführung einer originären Hauptversammlungskompetenz
2. Kritik
a) Keine befriedende Wirkung von Meinungsbeschlüssen zu Nachhaltigkeitsthemen
b) Erwartung international agierender institutioneller Investoren wider das Prinzip der Organadäquanz
V. Ergebnisse


I. Einleitung

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Hauptversammlungen großer deutscher Publikumsgesellschaften werden nahezu traditionell von Protesten gegen bestimmte Entscheidungen der Unternehmensführung begleitet. Während in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit Gewerkschaften insbesondere bei der Ankündigung eines Stellenabbaus zahlreiche Arbeitnehmer zu Demonstrationen mobilisieren konnten, dominieren heute Aktionen von Greenpeace oder Fridays for Future, die nachteilige Umweltauswirkungen der unternehmerischen Tätigkeit anprangern. Ihre Forderungen nach konkreten Veränderungen werden nicht nur von Aktionärsvereinigungen (z.B. dem Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre), sondern zunehmend auch von institutionellen Investoren unter Einsatz ihrer mitgliedschaftlichen Rechte in die Hauptversammlungen hineingetragen. Diese Spielart des active ownership, die aufgrund ihres thematischen Schwerpunkts als sustainable shareholder activism bezeichnet wird, beginnt in der Regel lange Zeit vor der Hauptversammlung, nämlich damit, dass einzelne oder mehrere gemeinsam agierende institutionelle Investoren ihre Erwartungen betreffend die Transformation des Unternehmens zur Klimaneutralität, insbesondere die derzeit noch freiwillige Aufstellung eines Klimatransformationsplans (sog. climate transition plan), z.B. auf den fondseigenen Homepages oder über Interviews in der Wirtschaftspresse kommunizieren. Ergibt das anschließende monitoring der Verwaltung, dass die geäußerten Vorstellungen nicht umgesetzt werden, suchen die Investoren den Kontakt zu der Gesellschaft mit dem Ziel, einen informellen Dialog zu der Unternehmensführung zu beginnen. Die währenddessen omnipräsente Drohkulisse, sie könnten bei Enttäuschung ihrer Erwartungen ihren Aktienbestand signifikant verringern und ihre Beweggründe am Kapitalmarkt kommunizieren, hat zur Folge, dass der Vorstand sich bei bedeutenden institutionellen Investoren einem Dialog nicht verschließen kann. Ein mögliches Ergebnis der Gespräche zeigt ein Blick in das europäische Ausland, nämlich dass das Leitungsorgan sein Konzept für die nachhaltige Umgestaltung des Unternehmens den Aktionären zur Abstimmung vorlegt. In Deutschland existiert mit § 119 Abs. 2 AktG zwar eine Regelung, die dem Vorstand vergleichbare Konsultationen der Hauptversammlung erlaubt. Die Tatsache, dass diese Befugnis für Klimatransformationspläne bislang aber – soweit ersichtlich – nur singulär genutzt wurde, dürfte – neben den Umständen, die Entscheidungsverlangen ohne Ansehung der Geschäftsführungsmaßnahme zu Raritäten haben werden lassen – wesentlich auf der Einschätzung beruhen, „(b)ei solchen Themen kann man nicht gewinnen“. Diese Aussage eines langjährigen Vorstandsvorsitzenden der Siemens AG lässt nicht erwarten, dass die Vorstände deutscher Aktiengesellschaften Fragen im Zusammenhang mit der Transformation des Unternehmens zur CO2-Neutralität in naher Zukunft freiwillig auf die Tagesordnung der Hauptversammlungen setzen werden. Vor diesem Hintergrund erörtert der Beitrag zunächst für verschiedene Anliegen die Frage, ob aktivistische Aktionäre die Vorstände de lege lata dazu zwingen können (Rz. 2 ff.). Im Anschluss an die Erkenntnis, dass diesen Versuchen durch die aktienrechtliche Kompetenzordnung enge Grenzen gesetzt sind, werden rechtliche Hemmnisse bei der Mehrheitsbeschaffung beleuchtet (Rz. 15 ff.) und schließlich die Reformvorschläge mit dem Ziel, mehr Aktionärsdemokratie zu wagen, kritisch gewürdigt (Rz. 18 ff.).

II. Interventionsmöglichkeiten mittels Ergänzungsverlangen
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In der Hauptversammlungssaison 2022 hat der sustainable shareholder activism eine neue Evolutionsstufe erreicht. Hatten ESG-sensible Investoren sich bis dahin im Wesentlichen darauf beschränkt, eine ihrer Ansicht nach unzureichende Berücksichtigung von Umwelt- und Klimaschutzbelangen in der Unternehmensführung in ihren Redebeiträgen zu thematisieren und dieser Kritik insbesondere bei der Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern (§ 119 Abs. 1 Nr. 1 AktG) und der Entlastung der Organmitglieder (§ 119 Abs. 1 Nr. 4, § 120 AktG) Ausdruck zu verleihen, versuchen sie seither zunehmend, mittels eines Verlangens nach Ergänzung der Tagesordnung gem. § 122 Abs. 2 Satz 1 AktG eine Abstimmung über konkrete Maßnahmen der Transformation des Unternehmens gegen den Willen der Vorstände zu initiieren. Der wesentliche Unterschied zu der bloßen Anregung eines Entscheidungsverlangens nach § 119 Abs. 2 AktG besteht darin, dass dem Vorstand kein Ermessen zusteht; es handelt sich um eine gebundene Entscheidung. Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Aktionäre auf diesem Weg sämtliche Anliegen gegen den Willen des Vorstands in die Hauptversammlung hineintragen können. Im Gegenteil, der Vorstand, an den Ergänzungsverlangen zu richten sind (§ 122 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AktG), darf aufgrund seiner Legalitätspflicht nur gesetzmäßigen Anträgen entsprechen. Er ist daher verpflichtet, jedes Ergänzungsverlangen vor der Erweiterung der Tagesordnung und dessen Bekanntmachung (§ 124 Abs. 1 Satz 1 AktG) zu prüfen. Gegenstand dieser Prüfung sind in erster Linie die formalen Voraussetzungen des Antragsrechts, die institutionelle Investoren vor keine großen Herausforderungen stellen, nämlich das rechtzeitige schriftliche Verlangen (§ 122 Abs. 2 Satz 3, 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AktG), das Vorliegen einer Begründung oder einer Beschlussvorlage (§ 122 Abs. 2 Satz 2 AktG), das Erreichen der Mindestbeteiligungsschwelle (§ 122 Abs. 2 Satz 1 AktG) sowie die Einhaltung der Vorbesitzzeit und der Haltefrist (§ 122 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 122 Abs. 2 Satz 1 AktG). Materielle Voraussetzungen im Sinne einer inhaltlichen Beschränkung des Antragsrechts nennt § 122 Abs. 2 AktG nicht. Sie ergeben sich jedoch daraus, dass das Ergänzungsverlangen als mitgliedschaftliches Recht den Schranken unterliegt, die mit der Treubindung der Aktionäre gegenüber der Gesellschaft einhergehen. Daher besteht weitgehend Einigkeit, dass der Vorstand – neben rechtsmissbräuchlichen Verlangen – auch solche Ergänzungsverlangen in Anlehnung an § 126 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AktG abzulehnen hat, mit denen ein gesetzeswidriger und daher nichtiger oder anfechtbarer Beschluss angestrebt wird. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Hauptversammlung über keine Kompetenz für den Gegenstand verfügt, weil dieser der Geschäfts- oder Leitungsautonomie des Vorstands unterfällt. Die erhebliche praktische Bedeutung dieser Einschränkung für den sustainable shareholder activism illustrieren vier Beispiele.

1. Verbindliche Vorgaben zu Produkteigenschaften
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Ab dem 1.1.2035 wird der Verkauf von neuen Pkw mit Verbrennungsmotor EU-weit verboten sein (Art. 1 Abs. 5a VO (EU) 2019/631). Obwohl mehrere deutsche Automobilhersteller angekündigt haben, bereits ab 2030 nur noch vollelektrische Pkw verkaufen zu wollen, geht die Verkehrswende vielen nicht schnell genug. Daher sind derzeit mehrere Klagen anhängig, die deutsche Automobilhersteller zu einer früheren Abkehr vom Verbrennungsmotor zwingen sollen. Es liegt nicht fern, dass klimasensible Investoren dieses Ziel begrüßen und dasselbe Anliegen an die Vorstände herantragen.

a) Keine originäre Kompetenz der Hauptversammlung in Leitungsfragen
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Ein Ergänzungsverlangen mit dem Ziel, die Hauptversammlung solle mit bindender Wirkung für den Vorstand beschließen, dass die Gesellschaft ab sofort keine neuen Pkw mit Verbrennungsmotor herstellt und veräußert, hätte der Vorstand abzulehnen. Maßnahmen, zu deren Ausführung der Vorstand kraft Gesetzes verpflichtet ist, kann die Hauptversammlung nach § 83 Abs. 2 AktG
nämlich nur „im Rahmen ihrer Zuständigkeit“ beschließen. Die Entscheidung über die Motorisierung der zu produzierenden und zu verkaufenden Pkw betrifft jedoch die Unternehmensleitung, die nach § 76 Abs. 1 AktG originär dem Vorstand unter eigener Verantwortung obliegt. Verlangt er diesbezüglich keine Entscheidung der Hauptversammlung nach § 119 Abs. 2 AktG, ist seine Zuständigkeit eine ausschließliche dergestalt, dass die Aktionäre keinen Einfluss nehmen können. Ein Beschluss, der diese Kompetenz missachtet, wäre gesetzeswidrig und nach § 241 Nr. 3 Fall 1 AktG nichtig, ein darauf zielendes Ergänzungsverlangen vom Vorstand also abzulehnen.

b) Verengung des statutarischen Unternehmensgegenstands
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Die Leitungsautonomie des Vorstands ist gem. § 82 Abs. 2 AktG u.a. durch die Satzung beschränkt, insbesondere den darin festzulegenden Unternehmensgegenstand (§ 23 Abs. 3 Nr. 2 AktG). Daher können aktivistische Aktionäre ihr Anliegen, die Vorstände deutscher Automobilhersteller zu der Abkehr vom Verbrennungsmotor zu zwingen, mittels eines Antrags auf Änderung des statutarischen Unternehmensgegenstands verfolgen. Zur Illustration eignet sich die Satzung der Volkswagen AG mit der gegenwärtigen Bestimmung „die Herstellung und de[r] Vertrieb von Fahrzeugen und Motoren aller Art“. Der Passus „Motoren aller Art“ könnte z.B. durch ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 23.04.2024 11:23
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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